Kindliche Verhaltensauffälligkeit oder psychische Erkrankung

Orientierungshilfen für den Schulalltag

Rückblick zum Seminar mit Dr. Walter Dahlhaus 17./18.05.2019

Das angekündigte Seminarthema ließ schon ahnen, dass wir uns auf eine weite Wanderung machen würden! Die unendliche Vielfalt besonderer Verhaltensweisen, wie wir sie an den Kindern im Schulalltag beobachten und erleben; in Abgrenzung dazu die Palette der psychischen Erkrankungen, die den fachkundigen Blick und den Beistand aus dem medizinischen Bereich erfordern – das ist kein Spaziergang!

Und so war das Bild, das uns unser Dozent Walter Dahlhaus gab, sehr zutreffend:

Wir stehen auf einem Turm und blicken auf die weite Landschaft – in unserem Fall auf die weite Landschaft der psychischen Erkrankungen. In Herrn Dahlhaus hatten wir einen kundigen, einfühlsamen Führer, der, immer mit Blick auf unser Arbeitsfeld als Pädagogen, uns einige Krankheitsbilder nahe brachte. In der Schilderung der Symptome, der Frage nach dem Verlauf, den Möglichkeiten der pädagogischen Unterstützung war es, als ob wir diesen Teil der Landschaft mit einem Fernglas beäugten, Einzelheiten erkennen durften, Verbindungen herstellen und mit unseren Fragen und Beispielen diesen Bereich noch vertiefen konnten.

Der große Bereich der Autismusspektrumstörungen bildete den Einstieg, danach waren die Formen kindlicher Unruhe, die posttraumatische Belastungsstörung, die kindliche Depression und die Angststörungen unsere Themen.

Aus der Vielfalt der dargestellten Krankheitsbilder und der Fülle der pädagogischen Anregungen zusammen mit der Fähigkeit unseres Dozenten, wach und offen unsere Beiträge zu hören, entstand ein Raum, der von großer Ruhe und Aufmerksamkeit geprägt war und in dem die Anwesenheit all der Kinder, die in den Gedanken der Anwesenden auftauchten, spürbar wurde.

Für uns als Förderlehrer war wohl ein Aspekt besonders eindrücklich, der durch ein Zitat der niederländischen Psychiaterin M.Bijloo verdeutlicht wurde: Sie spricht davon, dass Bindung ein Prozess sei, der sowohl in horizontaler Richtung erfolgt – zwischen Eltern und Kind, Kind und Betreuer etc – aber ebenso in vertikaler Richtung, nämlich in der Inkarnation in die Leiblichkeit. Somit bekommt unsere Arbeit in der Förderpädagogik einen besonderen Stellenwert in Bezug auf die Bindungsfähigkeit des Kindes. Die Verankerung im Leib als Voraussetzung für das Erleben eines Gegenübers, für das Eingehen einer Beziehung.

Ein weiterer Aspekt, der in nahezu allen Krankheitsbildern auftauchte, war die verlässliche, vertrauensvolle Beziehung des Erwachsenen zum erkrankten Kind als unterstützende, wenn nicht sogar heilende Maßnahme. Damit bekommt die Zunahme der Verhaltensauffälligkeiten und psychischen Erkrankungen im Kindesalter einen neuen Gesichtspunkt. In unserer Gesellschaft, in der Beziehungen in Frage gestellt sind, instabil werden oder keinen Raum finden, fordern uns diese Kinder auf, wieder ganz neu und bewusst Beziehung zu suchen und zu leben.

Die Wanderung durch die Landschaft der psychischen Erscheinungsformen war anregend, berührend, ermutigend und hatte wohl für jede(n) etwas, was wir in unsere Rucksäcke packen konnten. Die Grundeinstellung, die alles durchdrang und die sowohl im medizinischen wie pädagogischen Handeln Leitgedanke werden kann, wird in einem Zitat von Viktor Frankl deutlich:

„ Wer vielmehr nicht von der ersten Stunde an und wer nicht auch in der kritischen Phase immer und unbeirrt das Positive, das Ganze und Heile, den „gemeinten Menschen“ und seine geheime Gestalt im Auge hat und innerlich anspricht, der versäumt den entscheidenden Ansatz jedweder Menschenführung und -behandlung!“

 

Viktor E. Frankl „Vorlesung zur Psychiatrie“

Beate Schram